Tag 6: Attackieren oder kontrollieren?

Heute schreibe ich den Blog mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Die traurigen Nachrichten zuerst: Der Österreicher Walter Wegschaider hat sich entschieden, nicht mehr zu starten. Im Verlauf des Marathons ist dann auch der führende Mexikaner - Jorge Alberto Vázquez Arellano - ausgestiegen. Die gute Nachricht: Ich habe es heute als Zweiter ins Ziel geschafft! Doch alles der Reihe nach. 

 

Da viele Athleten mit der Luftverschmutzung zu kämpfen haben und die Schwimmstrecke mental eine Herausforderung ist, habe ich im Namen aller Athleten mit dem Veranstalter Beto Villa gesprochen und ihn gebeten, die Schwimmrunde zu halbieren. Das heisst, wir würden achtmal im Kreis schwimmen. Das gibt den ermüdeten Athleten mehr Sicherheit; sie müssen nicht mehr so weit hinausschwimmen. Schliesslich patrouillieren nur zwei Kajaks auf der Strecke - und wenn jemand in Schwierigkeiten gerät, muss es schnell gehen. Ich hoffe, unser Wunsch wird erfüllt. 

 

Beim Schwimmen ist für mich momentan die grösste Herausforderung der enganliegende Neopren. Seit gestern schwimme ich mit leicht geöffnetem Reissverschluss, um das beklemmende Gefühl etwas zu bekämpfen. Das wäre kein Problem, wenn nur die Wassertemperatur nicht von Tag zu Tag sinken würde (oder fühlt sich das nur so an, weil wir langsam unsere Fettreserven verlieren?). Also kann ich zwar befreiter atmen, dafür friere ich mir im Wasser einen ab. Das wiederum gibt keinen schönen Atemzug. Ich habe also die Wahl zwischen frieren und Atemnot ... ich wähle ersteres. 

 

Da am Wochenende im Park viel los ist, wurde die Radstrecke heute in einer kleineren Runde absolviert. 70 Mal mussten wir die Runde drehen. Das heisst, 140 Mal auf Null runterbremsen, wenden und wieder beschleunigen. Ich kenne das vom 21-fach-Ironman letztes Jahr in Italien, das gab mir einen kleinen mentalen Vorteil. Du kannst jeden Athleten kontrollieren; du siehst, wie er sich bewegt, wie es ihm geht. Du wirst aber selbst auch beobachtet - einfach nur Psycho, dieses Spiel auf so engem Raum ...


Irgendwie werde ich den Verdacht nicht los, dass die ersten Positionskämpfe entbrannt sind. Man getraut sich kaum noch, auf die Toilette zu gehen oder anzuhalten, um etwas zu essen. In den kommenden vier Tagen geht es um jede Viertelstunde. Ein bisschen zu viel Pause, eine kleine Krise, und der Vorsprung ist geschmolzen. 

 

Jedenfalls verlief mein Radsplit heute gut, und ich konnte als zweiter auf den Marathon wechseln. Direkt hinter dem Griechen Konstantinos Zemadanis. Die nächsten drei - Dave Clamp, Kamin Suran und der Mexikaner Jorge - kamen auf die Strecke, als ich knapp eine halbe Runde absolviert hatte. Gut, dachte ich. Zum einen habe ich einen kleinen Vorteil gegenüber meinem "Verfolger" Dave, dem Fünftplatzierten. Er muss zuerst das Loch schliessen und dann noch einen Vorsprung erlaufen, damit er mir gegenüber Zeit gutmachen kann.

 

Dave hat Gas gegeben, was das Zeug hält. Ich hingegen habe gekämpft wie ein Löwe. Alles schmerzte. Dave kam näher und näher; der Mexikaner hatte ihn inzwischen überholt. Gut, dachte ich, dann werde ich vielleicht heute Fünfter. Aber bitte, bitte, nur keine Krise ... Denn die ersten fünf können den Marathon alle durchlaufen. Die Frage "kontrollieren oder attackieren?" hallte in meinem Kopf. Sollte ich pushen, damit ich auf den Führenden auflaufen kann? Oder unter Pace laufen, damit ich nicht zu viele Körner verbrenne? 

 

Irgendwann musste ich aufs WC. Danach war der Abstand zu Dave wieder gleich wie zu Beginn des Marathons. Anschliessend liefen wir die gleiche Intensität. So konnte ich überglücklich als Tageszweiter einlaufen! 

 

Keine Ahnung, wie der Körper diesen Effort verkraftet. Wir werden sehen. Wenn Dave von hinten weiter so angreift, wird er mich wahrscheinlich noch in den nächsten Tagen überholen. Es bleibt also spannend!


Ach ja, der blaue Zeh an meinem linken Fuss bleibt noch in der mentalen Schublade;-))

 

Resultate Tag 6
Zeit total: 11:37:15

Tagesrang: 2

 

 

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